Gestatten, Scheich Volker

Als die Schuhfachverkäuferin Sabine Preuß den ehemaligen Hilfsarbeiter Volker Eckel kennenlernte, da ahnte sie nichts von jenem Nummernkonto in der Schweiz. Sie wusste auch nichts von der Geschichte mit den 700 Milliarden Dollar, als sie ihn später auf dem Standesamt von Schramberg im Schwarzwald heiratete. Sie sah in ihm, so sagt sie es heute, einfach nur einen warmherzigen Mann, der „perfekt zu mir passte, wie vom Himmel gefallen“. Die Sache mit dem Mord kam erst später heraus, auch das Königshaus von Saudi-Arabien spielte damals noch keine Rolle in ihrem Leben.

Sabine Preuß sehnte sich nach einem Neuanfang. Sie hatte ihren Mann verloren, durch einen Herzinfarkt, sie war Anfang vierzig, hatte zwei Kinder aus ihrer ersten Ehe, Lissi und Manuel. „Mich gibt es nur im Dreierpack“, sagte sie damals zu ihm, als er sich nach ihrer Anzeige auf der Internetseite quick-markt.de gemeldet hatte, die sie bevorzugte, weil sie umsonst war. „Die Kleinen sind ein Teil von dir, ich liebe sie“, habe Volker ihr damals geantwortet.

Nun, drei Jahre später, sitzt Sabine Eckel auf einem Besucherstuhl in der mit Stahltüren gesicherten Wartezone der Justizvollzugsanstalt Freiburg im Breisgau. Es ist Mittagszeit, kurz vor eins. Gleich wird Sabine Eckel für zwei Stunden ihren Ehemann treffen, einen Mann, der der Welt Rätsel aufgibt, bis zum heutigen Tag, seinen Opfern, den Staatsanwälten, den Gefängnisdirektoren.

Im Gerichtssaal, während des Prozesses, hatte sie erfahren, dass Eckel mit einem Märchen durch die Schweiz gezogen war. Volker Eckels Mutter war angeblich Prinzessin Lolowah, der irakische Diktator Saddam Hussein war Eckels Vater. Fünf von sechs Prozesstagen hielt sie durch, dann wendete sie sich ab von Eckels Traumwelt. Sie hatte einen ihr fremden Mann vom Zuschauerraum des Gerichtssaals aus beobachtet, einen charmanten Verführer. Eckel hatte in der Schweiz Geschäftsleute und einfache Bürger um ihr Geld gebracht. Sie fielen auf ihn herein, auf Seine Königliche Hoheit Scheich Muhammed al-Gargawi.

Der Prozess fand vor dem Landgericht Rottweil statt; Eckel war in Deutschland verhaftet worden, die Schweizer Behörden überließen den Fall den deutschen Kollegen. Eckel wurde zu dreieinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Inzwischen hat man ihn nach Freiburg verlegt.

Dort hat Sabine Eckel ihre Handtasche, ihr Handy, ihr Portemonnaie, das Kinderspielzeug und den Buggy in einem Schließfach der Anstalt verstaut, einen Metalldetektor passiert, sich nach Waffen durchsuchen lassen. Sie sind zu viert: Sabine Eckel, Lissi, Sara, die sie von Volker Eckel hat, außerdem die acht Monate alte Samira. Sabine Eckel war mit ihr gerade schwanger geworden, als man ihren Mann verhaftete.

Es ist ein Uhr mittags. Surrend klickt jetzt die Stahltür auf, die Besucher können hindurchgehen, sie betreten den eigentlichen Besucherraum. Sieben Tische. Drei Süßigkeiten- und Getränkeautomaten. Die Fenster sind vergittert. Eine verspiegelte Scheibe.

Volker Eckel wartet an einem der Tische, er strahlt, er zieht seine Kinder zu sich. Er küsst sie. Er lächelt seine Frau an. Er springt auf und holt Limonade für alle. Ein fleischiger Mann, groß, bleich, das Haar zu Stoppeln rasiert. Trainingsanzug, eine Nickelbrille. Man könnte ihn auf den ersten Blick für einen Lehrer halten, Sport und Erdkunde, aber das kann täuschen, wie so vieles im Leben des Volker Eckel.

Die Geschichte der Täuschungen, zumindest das letzte Kapitel, setzt an im Juni des Jahres 2008. Eckel hält sich in Zürich auf. Im Raum Stuttgart hat er sich in den zurückliegenden Jahren an verschiedenen Betrügereien versucht, Scheckkartenmissbrauch, vorgebliche Immobilienkäufe, Urkundenfälschung, gelegentlich hat er sich als Dr. med. ausgegeben. Hier und da ist er aufgeflogen, zur Fahndung ausgeschrieben.

In der Schweiz fühlt Eckel sich sicher. Vor allem ist er hingerissen von Zürich, dieser Banken- und Geldstadt. Eckel marschiert die glitzernde Bahnhofsstraße auf und ab, die, gesäumt von Boutiquen, zum See führt. Er steht vor dem Fünfsternesuperiorhotel Baur au Lac, erinnert er sich, und er glaubt das Geld, das alles durchdringt, durchpulst, fast fühlen zu können.

Diese Stadt will er erobern.

Er lässt sich teure Wohnungen zeigen, spielt den Interessierten, den Hochmütigen – aber das führt zu nichts. Wenn er Zürich erobern will, begreift er, muss er schon vorher jemand sein. Er muss sich verwandeln, wieder mal. Reich sein, Scheich sein, der Reim gefällt ihm irgendwie. Bei einer dieser Wohnungsbesichtigungen läuft ihm ein Immobilienmakler über den Weg, ein Mann namens Bührli(*), er stammt aus der Ostschweiz, aus dem Kanton Thurgau, und ist geschäftlich in Zürich. Auf so einen Mann, gierig und naiv, hat Eckel nur gewartet.

Man kommt ins Gespräch. Es sind anfangs nur Andeutungen, die Eckel macht: Er sei in Zürich inkognito. Er telefoniere später mit einem Halbbruder. Ja, mit seinem Halbbruder, der dem Ministerrat vorsitze. Wo? In Dubai. Ach so, der Halbbruder und er benötigten übrigens zwei bis drei Villen, bitte schnell, inschallah!

Die arabische Formel, so viel bedeutend wie „so Gott will“, benutzt Eckel gern und im Sinne von „He, geht’s nicht schneller?!“ Und tatsächlich hat der Makler es plötzlich sehr eilig, diesen Fremden für sich zu gewinnen.

Unter einem Vorwand lädt er Eckel in den Thurgau ein. Der Thurgau, die Ostschweiz, sei nur auf den ersten Blick Provinz. Tatsächlich gebe es hier sehr gute Investitionsangebote. Eckel tut so, als ließe er, zerstreuter Monarch aus dem Orient, sich alles nur so eben gefallen. Hauptsache, es geht schnell!

Weil Eckel über den Orient nichts weiß, muss er improvisieren. Das allerdings kann er, kann es von Kindheit an.

Volker Eckel wird am 8. Oktober 1965 geboren, in Tamm bei Stuttgart. Er ist das jüngste von fünf Kindern, der Vater ist Bauklempner, die Mutter Hausfrau. Als Volker elf Jahre alt ist, erleidet der Vater einen berufsbedingten Säureunfall und verliert nahezu sein Augenlicht. Die Mutter muss die Familie ernähren.

Volker Eckel erlebt sich keinen Augenblick als das geliebte Nesthäkchen. Geld ist bei den Eckels so knapp wie Zuneigung. Er verlässt die Sonderschule ohne Abschluss, jobbt als Hilfsarbeiter. Er ist 19 Jahre alt, als er endlich einen Ausweg entdeckt: sich zu verwandeln.

In der Nähe seines Heimatorts Tamm ist ein Mord begangen worden, Eckel hat davon in der Zeitung gelesen. Er geht zur Polizei und bezichtigt sich der Tat. Eckel wird festgenommen, monatelang verhört, und er genießt diese kostbare Aufmerksamkeit, die man ihm schenkt.

Er ist bedeutend, als potentieller Mörder, es sei ein wunderbares Gefühl gewesen, sagt er.

Knapp ein Jahr seines Lebens verbringt Eckel in Untersuchungshaft, bis sich seine Unschuld erweist. Er darf oder muss das Gefängnis verlassen. Aber nach dieser Macht, über das Leben anderer zu richten, wird sich Volker Eckel von nun an sehnen. Er ist kein Mörder, wird es auch nie sein, dafür ist er zu friedfertig. Also wird er Hochstapler, Lügner.

In den folgenden Jahren wird Eckel sein Gespür für die Sehnsüchte anderer Menschen verfeinern, so wie man ein musikalisches Talent ausarbeitet. Sehnsüchte sind das Material für Eckel – als sei es seine Bestimmung, Menschen auszunutzen, ihr tiefes Bedürfnis, an etwas zu glauben, zu vertrauen.

Im November 2008, auf der nächtlichen Autofahrt von Zürich Richtung Osten, in den Thurgau, lässt sich Eckel von dem Makler Bührli scheinbar aushorchen, tatsächlich erweckt Eckel dessen Gier.

Der Makler erfährt, dass „Volker Eckel“ nicht der wahre Name dieses Mannes sei, es handle sich vielmehr um einen arabischen König, der in der Schweiz gigantische Investitionen tätigen wolle – Einkaufszentren, Fußballstadien, Wohnanlagen. Geld sei vorhanden, erfährt der Makler, es komme aus Dubai, Riad, Arabien. Für Bührli wird während dieser Autofahrt ein Märchen wahr, offenbar sitzt neben ihm der Abgesandte einer bisher unerreichbaren Welt.

Da es in dem Städtchen Müllheim keine Fünfsternehotels gibt, quartiert der Makler den kostbaren Kunden bei sich zu Hause ein. Die Familie des Maklers, anfangs verblüfft, wird auf strikte Freundlichkeit eingeschworen, eine Gastfreundschaft, die Eckel jedoch geschickt strapaziert.

Mit sicherem Instinkt weiß er, wie er sich benehmen muss, ungnädig, zerstreut, kurzum: königlich.

Eckel war nie ein Verstandesbetrüger. Für ihn war immer alles Gegenwart, Improvisation, er log stets aus dem Moment heraus. Er fürchtete deshalb auch nie, dass sein Plan irgendwann platzen könnte, denn es gab gar keinen Plan.

Alles, was Eckel wollte, war dieses Gefühl: bedeutend zu sein, mächtig. Selten bereitete er sich vor, lieber improvisierte er, spielte er, verlangte mal dies, wollte mal jenes, schließlich hat ein König ein Recht auf Reizbarkeit. Eckel machte sich nicht mal die Mühe, etwas Arabisch zu lernen oder sich den Unterschied zwischen Saudi-Arabien und Dubai einzuprägen. Aber diese Schwäche geriet ihm zur Stärke. Gerade weil er so undurchdacht agierte, fiel es seinen Opfern schwer, ihn zu durchschauen.

Im Besucherraum der JVA Freiburg berichtet Eckel seiner Frau Sabine, dass er Geld brauche. Er habe sich versehentlich auf seine Brille gesetzt, die neue Brille koste 120 Euro. Das Geld müsse Sabine Eckel dem Optiker R. in Freiburg überweisen. Sie zuckt zusammen, 120 Euro sind grässlich viel Geld. Aber sie fängt sich schnell. Sie wird den Optiker anrufen, vielleicht kann sie die Schulden in 20-Euro-Raten abstottern.

Aus ihrem Lohn als Verkäuferin hatte Sabine Eckel, bevor sie ihren jetzigen Mann traf, etwa 9500 Euro gespart, für schlechte Zeiten. Dieses Geld schmolz nach Eckels Festnahme und Verurteilung dahin. Am meisten kosteten die Anwälte, Eckel war anspruchsvoll. Sabine Eckel lebt jetzt von Hartz IV, mit diversen Zuschlägen hat sie 778 Euro im Monat, zum Verzweifeln wenig. Damit versorgt Sabine Eckel vier Kinder, zwei aus erster Ehe, zwei, die sie von Eckel hat, sie unterhält einen zwölf Jahre alten Peugeot 407, schickt ihrem Mann Briefmarken, damit er ihr täglich schreiben kann. Sie sagt, dass sie ihn noch immer liebe. Aber wird er sich ändern? Er beteuert es.

Damals, in der Schweiz, vor vier Jahren, sammelte Eckel ein Team um sich, und der Makler half ihm dabei. Sie casteten Geschäftsleute, Treuhänder, Juristen, gestandene Leute. Er wolle, erklärte Eckel geheimnistuerisch, hier eine Niederlassung der Dubai Holding gründen. Für Details sei es noch zu früh, höchste Verschwiegenheitsstufe sei Pflicht. Übrigens sei er König.

Seine angebliche Mutter, Prinzessin Lolowah, hat Eckel im Netz entdeckt, sein Beitrag besteht darin, ihr die Affäre mit Saddam Hussein anzudichten und sich als Sohn zu erfinden. Als Junge habe er mit den Saddam-Söhnen im Palast Fußball gespielt, schwadroniert er. Natürlich hätten sie als Kinder auch echte Waffen gehabt, schließlich war man bei Hofe. Und wer sich darüber wundere, beweise nur, dass er vom Hofleben nichts verstehe.

Plötzlich eine Palastintrige, Gift. Sein Leben sei in Gefahr gewesen. Die Mutter habe ihn vorsichtshalber nach Deutschland gebracht und bei einer Adoptivfamilie aufwachsen lassen, rund um die Uhr überwacht von Geheimdienstleuten, die man aber kaum bemerkt habe. Nur ab und zu ein Mann mit Hut in einer Eisdiele, das Funkgerät in einer zusammengerollten Zeitschrift versteckt.

Eckels Stab besteht Ende 2008 aus einem knappen Dutzend Leuten. Da ist der Versicherungsmakler Stähli, der seine Firma aufgibt, um 24 Stunden für den Scheich da zu sein. Da ist Claudia Ditz, Zweite Bürgermeisterin einer Kleinstadt, die sich als Privatsekretärin anheuern lässt. Da ist der Bauunternehmer Vogli, der Chauffeur wird. Der Treuhänder Massimo, der die Behördengänge erledigt.

Diese Männer und Frauen sind keine Idioten, sondern kluge, gestandene, zum Teil studierte Leute – dennoch benehmen sie sich idiotisch, sie verlieren ihren gesunden Menschenverstand, als hätten sie ihr Urteilsvermögen an der Garderobe abgegeben.

Einige von ihnen haben, unter Wahrung der Anonymität, mit dem SPIEGEL gesprochen. Zum Teil, sagen sie, habe sie die Geldgier getrieben. Aber nicht nur. Eckel schüttet ein Märchen über sie aus, und in dem kreuzbraven Leben, das sie führen, gibt es eine unerfüllte Sehnsucht – und Eckel spielt meisterhaft damit. So geraten sie in seinen Sog. Und irgendwann wollen, können sie ihren Traum nicht mehr loslassen.

Eckel ist der Briefkopf einer Schweizer Privatbank – Bankhaus Jungholz in St. Gallen – in die Hände gefallen, den er per Scan und Photoshop in eine Kontobestätigung verwandelt: 700 Milliarden Dollar seien angekommen, jederzeit abholbar, mit freundlichen Grüßen. Diese Bestätigung zückt er öfter mal, und wer immer das Papier mit der magischen Zahl, den elf Nullen, erblickt, der erschaudert.

Später lässt Eckel sich zu einem Notar chauffieren und gibt dort eine eidesstattliche Erklärung ab. Er erkläre die Bereitschaft, das Amt des Staatsoberhaupts von Saudi-Arabien zu übernehmen, im Einvernehmen mit Stiefbruder Ali Hussein und Mutter Miriam. Niemandem fällt auf, dass Eckels Mutter plötzlich Miriam heißt, nicht mehr Lolowah. Das Ganze wird mit notariellem Stempel beurkundet, und Eckel hat ein Papier mehr, das er zücken kann.

Eckel billigt seiner Sekretärin ein hübsches Gehalt von 76 923 Schweizer Franken im Monat zu, erhöht aber bald, weil er recht zufrieden mit ihr ist, auf monatlich 324 615 Franken. Der Chauffeur kriegt 61 538,45 Franken als Monatslohn in den Vertrag geschrieben, bei den höheren Angestellten geht das Gehalt in die Millionen – wohlgemerkt: monatlich. Als Dienstfahrzeug wird ein BMW 750 vorgemerkt, dunkelblau.

Eckel bezieht Büroräume in dem Ort Frauenfeld. Damit seine Leute auf die Orient-Missionen vorbereitet sind, müssen sie Knigge-Kurse absolvieren. Ein marokkanischer Benimm-Coach wird engagiert, im Konferenzraum erklärt er vor der eifrigen Truppe, wie das so läuft mit Prinzen und Scheichs. Eckel selbst nimmt an den Schulungen nicht teil, wozu auch?

Eckel schickt seine Leute zu Architekten, Bauunternehmern, Projektentwicklern, die Pläne in ihren Schubladen haben, Pläne für Wohnungen, Wellness-Anlagen, Einkaufszentren – denen aber noch der Investor fehlt. Ein Präsentationstermin wird vereinbart. Der geheimnisvolle Investor legt Wert darauf, höchstpersönlich zu kommen. Bei den ersten Terminen legt Eckel einen Kaftan an, ein weißes, knöchellanges Gewand, dazu ein Kopftuch, das von einem schwarzen Kopfring gehalten wird. Später wird er auf das Kostüm verzichten.

Eckel genießt vor allem das Spiel, das Hofiertwerden, den Auftritt. So lässt er sich bei diesen Anlässen in zerstreuter Herrscherlaune alle möglichen Projekte präsentieren, die mal 20 Millionen, mal 300 Millionen erfordern. Sodann erteilt er gnädig Zustimmung. Schließlich, meist tags darauf, schickt er einen seiner Untergebenen los, zu den Projektentwicklern, den Architekten, und die Botschaft ist stets dieselbe: Man erinnere an das Geschenk.

Bitte? Welches Geschenk?

Ja, ja, das sei arabische Sitte, heißt es, unumstößlich: Bevor der Scheich den Vertrag unterschreibe, verlange er ein Geschenk. Keinen Ferrari, kein Rennpferd, das besitze er alles schon, bloß einen symbolischen Geldbetrag wolle er. 10 000 Franken? Oder 200 000? Ohne Geschenk kein Geschäft.

Dies ist die Methode Eckel, sie funktioniert fast immer. Einige der Angesprochenen lehnen die arabische Erpressung zwar empört ab. Andere aber denken an den Auftrag und zahlen. Mal sind es 20 000 Schweizer Franken, mal 200 000, die hereinkommen, als Schenkung ordentlich verbucht.

So finanziert Eckel seine laufenden Ausgaben, etwa den Sex. Jeden Dienstag und Freitag beispielsweise, sobald die FKK-Nacht im „Westside“ in Frauenfeld beginnt, einem Club für bedürftige Herren, lädt Eckel seinen Hofstaat dorthin ein, die Sekretärin darf an solchen Abenden früher nach Hause. Der Eintritt kostet 90 Franken. Man bekommt einen weißen Bademantel ausgehändigt, eine Chipkarte, auf der Liebesdienste und Alkoholika gebucht werden. Eckel hält sich an Coca-Cola, die im Eintrittspreis inbegriffen ist. Die anderen probieren aus, wie es sein wird, wenn man dekadent ist; einer aus der Entourage besteht darauf, Champagner aus einem Stöckelschuh zu trinken. Weil es sich jedoch um einen Sauna-Club handelt und die vorwiegend aus Osteuropa stammenden Prostituierten ihre Dienste barfuß oder in Badelatschen versehen, muss erst ein geeigneter Schuh beschafft werden.

Eckel zahlt für die Ausflüge; die versprochenen Monatsgehälter muss er schuldig bleiben. Mal sei das Geld aus Dubai noch nicht eingetroffen, mal will Eckel ein allerletztes Telefonat mit seinem Stiefbruder führen, so windet er sich Monat um Monat heraus.

Aber warum lassen seine Leute sich hinhalten? Die Betrogenen verstehen sich heute selbst nur noch halb. Eine eigentümliche Aufbruchsstimmung habe sie erfasst. Sie waren Eingeweihte, sie wussten von einem großen Plan. Und irgendwann wollte man die Lüge nicht mehr loslassen, nicht mehr hergeben – im Tausch für eine trübe Wahrheit mit Reihenhaus, Vorgarten, Hypotheken.

Man hätte Eckel leicht überführen können. Die Bankbestätigungen waren primitiv gefälscht, aus Dubai, Bagdad und Saudi-Arabien machte Eckel ein einziges Karl-May-Gesamtkunstwerk – trotzdem glaubten ihm seine Leute. Sie glaubten ihm, weil seine Behauptungen so unglaublich waren.

Seine Lüge schien umso einleuchtender, je weiter sie von der Wirklichkeit entfernt war. Eine Halbwahrheit wäre angreifbarer gewesen. Doch Eckel, der darin mit seinen großen Kollegen durchaus mithalten konnte, mit Felix Krull, dem Hauptmann von Köpenick, dem lügnerischen Seher aus „Asterix“, entführte seine Truppe in eine Märchenwelt, in der er Herrscher und Schöpfer war. Er machte es wie Scheherazade: Sobald die Realität sich störend bemerkbar machte, spann Eckel sein Märchen weiter.

Im April 2009 summieren sich die gestundeten Gehälter auf etwa 25 Millionen Franken. Nichts davon ist je gezahlt worden. Die Stimmung hat sich zu diesem Zeitpunkt abgekühlt, verständlich. Eckel ist unter Druck, lange wird er das Spiel nicht mehr spielen können. Eilig organisiert er seinen letzten großen Coup: die Eroberung von Zürich.

Der Grasshopper Club Zürich ist der älteste, traditionsreichste Fußballverein der Stadt, 27facher Schweizer Rekordmeister, Günter Netzer und Stéphane Chapuisat spielten hier einst, Ottmar Hitzfeld war mal Trainer. Aber jedes Jahr muss der Hauptsponsor, ein Gartenbauunternehmer, ein paar Millionen Franken zuschießen. Neidisch blickt man zu Clubs wie Manchester City, Paris Saint-Germain, FC Chelsea, die von Oligarchen oder Scheichs mit Geld geflutet werden.

Volker Eckel schickt seine Leute vor. Er lässt fragen, ob man interessiert sei an einem Finanzier. Wie viel brauche man? 50 Millionen Franken? 60 Millionen? Ob man sich treffen wolle?

Am 20. April des Jahres 2009 ziehen Eckel und seine Entourage in das vornehmste Hotel von Zürich ein, ins Baur au Lac, das er am Anfang nur von außen bestaunen durfte. Eine Deluxe-Suite, drei Doppelzimmer, ein Doppelzimmer zur Einzelnutzung, die Rechnung auf den Club. Eckel erkundigt sich nach dem Rolls-Royce des Hotels. Am Abend wird eine Absichtserklärung unterzeichnet, über 100 Millionen Franken. Zuvor hat Eckel die Boulevardzeitung „Blick“ kontaktieren lassen, er will die Journalisten als Zeugen seines Ruhms. Die Reporter haben herausgefunden, dass die Geschichte vom Scheich stinkt; aber sie lassen die Grasshopper-Bosse, unter ihnen der Sportchef Erich Vogel, in die Falle laufen, um sie danach als Deppen präsentieren zu können.

Dann spielt das Grasshopper-Team gegen Vaduz, Eckel sitzt in der Ehrenloge, es ist sein Moment. Auf allen Fotos strahlt er, nie sah er glücklicher aus: Er ist am Ziel. Er hat die Welt überzeugt, er ist Scheich Muhammed.

In den folgenden Tagen wird die Geschichte in den Medien verbreitet, der Verein ist blamiert, Eckel enttarnt. Sein Imperium löst sich auf, jetzt geht es ganz schnell. Für seine Leute beginnt eine harte Zeit. Sie stehen als Trottel da. Zwei von ihnen erstatten Anzeige, die Polizei beginnt mit Ermittlungen. Wer war Mitwisser? Oder sogar beteiligt? Jeder ist zunächst verdächtig, manche verkriechen sich, manche denken an Selbstmord. Der finanzielle Schaden, den Eckel angerichtet hat, ist schwer zu beziffern. Wenn man alles addiert, das erschwindelte Geld, unbezahlte Rechnungen, versprochene Gehälter, so kommt man nach staatsanwaltlichen Schätzungen auf rund 40 Millionen Schweizer Franken.

Eckel, davon ungerührt, fährt nach Deutschland zurück, schreibt von dort aus, immer noch als König, eine letzte Mail, dann lernt er die Schuhverkäuferin Sabine Preuß kennen, heiratet sie. Am 7. September 2011 erlässt das Amtsgericht Rottweil Haftbefehl gegen ihn, im Mai 2012 folgt das Urteil 1 Kls 20 Js 13174/10. Da ist seine Frau bereits im zweiten Monat schwanger mit Samira.

Im Besuchsraum der JVA Freiburg sitzt jetzt ein Mann, der seiner Frau Sabine vom Neuanfang erzählt. Der berichtet, dass er seinen Hauptschulabschluss nachholen will, der ihr ausmalt, wie schön es eines Tages werden wird.

Herr Eckel, kennen Sie ein arabisches Wort?

„Oje.“ Er wischt sich die Stirn, überlegt lange, dann sagt er: „Inschallah! So in dem Sinn, dass alles arabischmäßig passt und gut wird.“

Herr Eckel, Sie sprachen aber niemals Arabisch, als Sie den Scheich spielten?

„Meine Leute haben mich manchmal darum gebeten. Eure Hoheit, sagen Sie doch mal was. Oder: Wie schreibt man meinen Namen auf Arabisch? Das hab ich immer abgelehnt. Bitte, ich war ja der König. Außerdem gab es Sicherheitsbedenken, in so einem Job ist man ja ständig bedroht, überall sind Terroristen und Entführer, oje.“

Seine Frau betrachtet ihn, müde und zärtlich. Es ist gleich drei Uhr, Ende der Besuchszeit.


 

(*) Die Namen der Opfer wurden von der Redaktion geändert.