Der Warhol der Geldfälscher

Euskirchen bei Köln, der Wind biegt die Alleebäume, von den Feldern steigen Krähen auf. Der Mann ist aus dem Wagen gestiegen, steht vor dem Gefängniseingang, in schiefer Haltung, er starrt auf die vergitterten Fenster, liest das Schild „Einfahrt nur nach Anmeldung beim Pfortenbeamten“. Er lässt die schwere Tasche zu Boden gleiten, Wäsche, Bücher, Tabak, CDs, schaut auf seine Armbanduhr: eine letzte Zigarette in Freiheit.

Hans-Jürgen Kuhl, groß, dünn, hüftsteif, die Mundwinkel nach unten gezogen, ehemals Grafiker, ehemals Künstler, ehemals eine Berühmtheit in seiner Heimatstadt Köln, geladen zu Vernissagen, zitiert in Katalogen, gefeiert auf Messen.

Er fingert nach dem Feuerzeug.

An diesem Dienstagnachmittag steht Kuhl vor der Justizvollzugsanstalt Euskirchen, zum Antritt seiner Haftstrafe, sechs Jahre Freiheitsentzug, wenn die Strafe abgesessen ist, wird er über 70 sein, ein Knast-Opa, eine gedemütigte Figur. Zum Ausklang eines Lebens noch der entwürdigende Absturz in die Kriminalität.

„Bin reingerutscht“, sagt er, lacht. „Es begann wie ein Spiel damals.“ Er schaut auf die Uhr. Noch eine Viertelstunde, dann muss er sich im Pförtnerhäuschen melden und ein grünes Schreiben vorlegen, „Ladung zum Strafantritt“ – denn Hans-Jürgen Kuhl hat Dollar gefälscht, so perfekt und so viele wie keiner zuvor in Deutschland, Staatsanwälte und BKA-Beamte sprechen mit Respekt vom Fälscher der Herzen.

Es begann wie ein Spiel damals, sagt Kuhl. Das Spiel beginnt, als er gerade aus Mallorca zurückgekehrt war, wo er sich ein neues Leben aufbauen wollte, allerdings scheiterte. Er versucht es also wieder in seiner Heimatstadt Köln. Doch seine Ersparnisse schmelzen, er verkauft nichts – aber warum verkauft er nichts?

Die Wahrheit ist: Er weiß es nicht. Lustlos tapert er morgens ins Atelier, gereizt telefoniert er mit Händlern, Galeristen, plötzlich muss er um Termine betteln. Er fährt nach Düsseldorf, Essen, Hamburg, Aachen, doch wenn er seine Arbeiten auspackt, machen die Herren ein Gesicht, sehr unangenehm. Sein Geld reicht noch für zwei, drei Monate. Vielleicht vier.

Wie beantragt man Sozialhilfe?

Nie zuvor hat Kuhl sich um seinen Lebensunterhalt Gedanken machen müssen; was er anrührte, verwandelte sich in Geld. Er verkaufte fünf Bilder, fuhr zwei Wochen nach Como. Verkaufte zwei Dutzend Bilder nach Japan, gönnte sich einen gebrauchten Porsche. Bei den Frauen lief es ebenso, er pflückte sie, wenn ihm danach war, all die Jahre hindurch verdiente er gut, gab noch mehr aus, in Kneipen, Casinos, er spielte, verlor, gewann, verlor – doch jetzt, plötzlich, ist Schluss. Manchmal träumt er von Rache, manchmal träumt er vom perfekten Verbrechen.

Im Industriegebiet von Köln-Pulheim hat er seine Werkstatt; Donatusstraße 158, 160 Quadratmeter, hohe Decken. Rechts eine Autowerkstatt, links eine Werbeagentur. Hier steht seine Siebdruckanlage für Drucke und Grafiken im Warhol- und Pop-Art-Stil, die sich zu Hunderten an den Atelierwänden stapeln.

Abends, nach vielen Zigaretten, den stechenden Geruch von Lösungsmitteln in der Nase, steht Kuhl der Sinn nach etwas Welt. Dann streicht er sich Gel ins Haar, schlüpft in seinen schwarzen Lederblouson. Das Cento ist eine Pizzeria der ehrgeizigen Sorte, in einer Shopping-Passage in der Kölner Innenstadt. Hier, wie symbolisch abgerückt vom Rest der Welt, treffen sich regelmäßig ein paar Herren. Sie wirken bieder, aber das sind sie nicht. Es ist ein Gangster-Stammtisch.

Gespräche und Tonfall, erinnert sich Kuhl, waren kumpelhaft und großspurig zugleich. Jeder versuchte, den anderen mit Andeutungen von raffinierten Deals und Connections zu beeindrucken, ohne zu viel preiszugeben. Sie haben ein paar Codes, ein Verbrechen heißt „Projekt“, und sie reden sich mit Spitznamen an, es gibt den „Dicken“, den „Albaner“, den „Reisenden“. Kuhl ist der „Lange“.

Was diesen Kreis angealterter Gelegenheitsdealer, Waffenbesitzer, Sozialhilfeempfänger und Schmuggler eint, ist das Warten beim Montepulciano für 4,50 Euro auf den Coup, die große Chance, vielleicht die letzte in ihrem Leben.

Im Jahr werden in Deutschland etwa sechs Millionen Straftaten aktenkundig, ungefähr 17.000 sind es am Tag, 12 pro Minute. Diebstähle, Körperverletzung, Raub, Missbrauch, Warenkreditbetrug, Geld- und Urkundenfälschung; nur rund die Hälfte der Fälle wird aufgeklärt, ein Bruchteil schafft es in die Nachrichten, wie und warum ein Verbrechen beginnt, erfährt man fast nie, einige beginnen in Männerrunden wie dieser.

Die Männer am Cento-Stammtisch würde jeder für Kleinbürger halten. Rheinisch, gemütlich, sie palavern über Wohnmobile, spielen Lotto, gehen zur Wahl – aber tatsächlich leben sie in der Halbwelt. In jener Welt hat man wenig Angst, im Gefängnis zu landen. Hier will man den neuen Mercedes fahren und nicht arbeiten.

Kuhl, der Feine, gehört bald dazu. Er weiß, irgendwann werden sie ihm was vorschlagen.

Fünf Herren fordern eine Weltmacht heraus

So sitzen also die Männer an ihrem Ecktisch, rauchen, verdrücken sahnetriefende Cannelloni und senken verschwörerisch die Stimme, wenn das Gespräch auf ein „Projekt“ kommt. In Zeiten globalisierten Verbrechertums und international operierender Kartelle wirken sie wie Überbleibsel einer Zeit, als das kriminelle Milieu noch fernsehgerechte Originale hervorbrachte. Und doch entsteht ein Verbrecherring, der Falschgeld in einer in Deutschland bislang einzigartigen Qualität und vor allem Menge herstellen wird. Der Ring wird Landeskriminalämter und das Bundeskriminalamt in Atem halten, acht Monate lang, drei Dutzend Observationsteams, die GSG 9, den Secret Service – die Herren am Ecktisch werden eine Weltmacht herausfordern.

Und Kuhl ist das Talent, der Künstler, das Gehirn.

Die anderen sind ein Kosovo-Albaner namens Sinan E., genannt „der Lächler“, ehemaliger Schweißer und Amateurboxer, mit grauem Bürstenschnitt und angenehmem Gesicht, seit mehr als 20 Jahren in Deutschland, die Existenz zerfasert zwischen seiner dahinvegetierenden Familie im Kosovo und seiner deutschen Freundin, einer schmallippigen Beamtin aus Leverkusen, die ihn mit all ihrer späten Leidenschaft liebt.

Dann Hans-Dieter K.*, „der Engländer“ genannt, mehrfache Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz; „der Engländer“ bezieht übrigens Hartz IV, während er unter seinem Kühlschrank eine Tüte mit 100.000 Euro versteckt hält. Und da ist Manfred A., „Manni“ genannt, ein kleiner, in die Breite gegangener Ex-Jockey, der sich als Spediteur und Vermarkter von Reitpferden versucht hat und sich inzwischen mit Hausmeisterjobs über Wasser hält.

Z. kommt gelegentlich dazu, ein ehemaliger SEK-Mann, drahtig, schneidig, wegen Verrats von Dienstgeheimnissen aus dem Polizeiapparat entfernt, später hat man Z. an Bord einer Segelyacht erwischt, in deren Laderaum eineinhalb Tonnen Marihuana versteckt waren.

Und dann fangen sie an.

Zunächst versuchen sie, Briefmarken zu fälschen, um sie an Direct-Mailing-Firmen zu verscherbeln. Sinan, der Albaner, hat angeblich Kontakte zu seinen Landsleuten in Belgien und der dortigen Mafia.

Aber Briefmarken werden mit spezieller Farbe gedruckt, und die Beschaffung dieser Farbe erweist sich als zu aufwendig. Dann der Versuch, 50-Euro-Scheine zu fälschen, dies gibt Kuhl nach wenigen Wochen entnervt auf, zu kompliziert.

Bleibt der Dollar, der Klassiker. Schwerer zu verkaufen als der Euro, leichter zu fälschen. Kuhl legt los.

Kuhl war schon mal Repro-Fotograf, Kameraassistent, er hat Mode entworfen, in Köln eine Manufaktur betrieben, in der Lederjacken genäht und Louis-Vuitton-Taschen imitiert wurden, er kann ein bisschen zeichnen, hat sich einen flotten, pseudogenialischen Strich zugelegt, ein Gefühl für Proportionen, Farbigkeiten, Mischungen. Und als er Anfang der achtziger Jahre von der Mode- in die Kunstbranche wechselt, kommt ihm das zugute.

Diese Dekade war perfekt für ihn. Eine kaufkräftige Generation, in den Siebzigern sozialisiert und mit dem Fake, der Industriekunst vertraut, richtete sich ein. Kuhls Bilder waren laut und bunt und passten zum Billy-Regal.

Während Köln sich zur deutschen Kunstmetropole entwickelte, erwies Kuhl sich bald als der geborene Plagiator. Er verbrachte viel Zeit im Museum Ludwig, bei den geliebten Warhols, Lichtensteins, Rauschenbergs, und keck imitierend baut er eine florierende Lithografie- und Siebdruckproduktion auf, Europa, Australien, Japan, Neuseeland.

Ein fahler Mann mit einer weißblonden Perücke war Kuhls Guru – Andy Warhol. Kuhl trifft ihn, als Warhol Audienz auf der Art Cologne hält oder auf Deutschland-Tournee geht, um für ein irres Honorar Industriellengattinnen zu porträtieren. Warhol, der für Anonymität und die Serienproduktion von Kunst steht wie niemand sonst, bittet seinen emsigsten Imitator, nicht ganz so schamlos zu klauen. Okay, klar, verspricht Kuhl.

An dem ganzen Kunstquatsch interessiert die Jungs im Cento eigentlich nur eins – was Kuhl kann.

Echte Dollar werden an zwei Orten auf der Welt gedruckt: in Washington D. C. und Fort Worth, Texas, jeden Tag 25 Millionen Scheine, sieben Tage die Woche. Gedruckt wird mit gestochenen Platten, im Intaglio-Bogen-Einzugsverfahren – weshalb auch die perfekteste Fälschung nie ganz und gar wie das Original sein wird. Der Fälscher, der die Spitzentechnologie der Notenbank simulieren wollte, müsste die Druckplatten spiegelbildlich von Hand gravieren. Die Gravurtechnik zu lernen erfordert Jahre, Jahrzehnte. Ein einziger Fehlstich lässt sich nicht rückgängig machen, die Platte ist ruiniert, man muss von vorn beginnen.

Kuhl musste einen anderen Weg finden.

Um Blüten von wenigstens annehmbarer Qualität zu produzieren, auf einer Zehnerskala bei etwa fünf bis sechs, was bei den Fälschungsexperten des BKA schon als ordentlich gilt, braucht man dreierlei.

Erstens das Papier. Beschaffenheit, Gewicht, Reißfestigkeit, die Art, wie es knittert und knistert, wie es in der Hand liegt und sich entfaltet, nachdem man den Schein geknifft oder geknüllt hat. Das US-amerikanische Bureau of Engraving and Printing kauft eine spezielle, sehr schwere Mischung aus Baumwolle und Leinen, mit langen, soliden Fasern, eher Stoff als Papier, mit beim Schöpfvorgang eingelegtem Faden, Wasserzeichen, zugeschnitten in der Größe 155,956 mal 66,294 Millimeter. Das muss man erst mal hinkriegen.

Dann der Druck. Man braucht eine gute Offsetmaschine, die richtigen Farben mit der richtigen Konsistenz, um den Gravurdruck zu imitieren: die Schattierungen, die Erhabenheiten.

Und drittens, weiß Kuhl, braucht man Zeit. Geduld. Sorgfalt. Wenn schon falsch, dann richtig.

Kuhls Werkstatt in Pulheim wird aufgerüstet: Computer, Scanner, Siebdruckanlage, bei der Aachener Firma Souren kaufen sie eine GTO-52-Offsetmaschine, 11.600 Euro; das Originalpapier für den Dollar, Papier der Sorte „Cranes Crest“, 90 Gramm der Quadratmeter, kriegen sie nicht; aus diversen Quellen des ehemaligen Jugoslawien besorgen sie ähnliches Papier, 75 Gramm, nichtleuchtend unter UV-Licht, genau wie der Dollar.

Kuhl holt sich von der Sparkasse einen 100-Dollar-Schein, scannt ihn. Mit dem Grafikprogramm Adobe Photoshop verändert Kuhl die Seriennummern, schiebt zwölf Scheine zu einem Bogen zusammen, belichtet die Filme, stellt die Druckplatten her. Experimentiert mit Grüntönen aller Art, Russisch, Schilf, Seladon, Mint, Eisgrün, Blaugrün, mit aschigen und schwarzen Pigmenten, mixt Klar- und UV-Lack dazu, in homöopathischen Dosen Verdünner, Härter, ein bisschen mehr Schwarz, der Untergrund ein Hauch weniger Gelb, er will einen matten Glanz auf den Scheinen haben, er jongliert mit Chemikalien, sucht den perfekten Dollar.

Es geht nicht.

Die Proben misslingen. Kuhls Kumpane verdrehen die Augen, warum dauert das so lange? Abends sitzt Kuhl völlig erledigt im Sessel, unter der Leselampe, neben sich die gesammelten Jahresbände von „Deutscher Drucker“, in der Hand einen Hunderter. Er hat jetzt immer Dollar dabei, er betastet sie, wo immer er geht und steht, als wollte er ihnen ihr Geheimnis entreißen, Kuhl, der Dollar-Flüsterer.

Sie müssen Käufer finden, die sie nicht umbringen

Sie drucken Offset, ein sehr schnelles Druckverfahren, theoretisch könnten sie an einem Arbeitstag 50 Millionen raushauen, sie probieren es; aber der Farbauftrag ist flach. Echte Dollar werden mit deutlich mehr Farbe gedruckt, selbst ein Laie fühlt den Unterschied.

Eines Abends, unter der Leselampe, kommt Kuhl eine Idee: Er wird zwei Druckverfahren kombinieren, er wird die mit Offset vorgedruckten Scheine durch die Siebdruckanlage laufen lassen. Und dieser Einfall, das werden später die Experten des Bundeskriminalamts attestieren, sei „ziemlich genial“ gewesen.

In Kuhls Fälscherwerkstatt jubeln sie. Kuhl, abgemagert, mit verkniffenem Mund, hat wenig Zeit, den Triumph zu genießen, das Mischen der Farben, das Reinigen der Walzen, das Studieren des Farbverlaufs, Drucken, Trocknen, dann das Schneiden der Bögen, denn sie drucken zwölf Scheine auf einem Bogen. Sinan kann man mit nichts betrauen, schon gar nicht in seiner dösigen Stunde nach dem Mittagessen, denn wenn er dann die Farben anmischt, muss Kuhl alles stoppen, die Zylinder reinigen.

Das perfekte Verbrechen, sagt Kuhl heute, erfordere das perfekte Team: Jeder macht seinen Job, zuverlässig, geräuschlos, exakt.

Hiervon kann bei der Kölner Chaostruppe nicht die Rede sein; sie produziert Unmengen an Makulatur, an schlecht gedruckten Dollar, und mit dem Entsorgen kommt sie schon lange nicht mehr nach. Wohin mit dem ganzen Zeug? Es ist vielleicht nur Papier, aber es sieht aus wie Geld. Kuhl kauft bei „Schäfer Shop“ in der Aachener Straße einen Aktenschredder. Zum Schreddern müssen sie jedoch die Bögen einzeln einschieben, es dauert ewig, bis so ein Blatt in feine Streifen zerschnitten ist. Während die Offsetmaschine danebensteht und in der Stunde satte fünf Millionen Dollar rausschmettert. Überall Dollar, feucht, halbtrocken, trocken, ungeschnitten, geschnitten. Es fällt kaum auf, dass jeder der Kumpane immer wieder was mitgehen lässt. Bei Sinan, „Manni“ wird später Geld gefunden, eine Million dort im Keller, eine Tüte bei der Freundin am Barbarossaplatz unterm Bett.

Sie stellen eine Tonne in den Hof, um den Ausschuss zu verbrennen. Aber die Flammen schlagen viel zu hoch, der Rauch steigt weithin sichtbar, jeden Moment kann die Feuerwehr anrücken.

Also, wie Jungs, die man beim Kokeln erwischt hat, löschen sie alles, stellen sich wieder an die Schreddermaschine. Blatt für Blatt für Blatt. Sie langweilen sich tödlich dabei, sie zanken sich, schnauzen sich an, immer öfter meldet Sinan sich krank, er ist jetzt bockig, wegen seiner Rückenschmerzen, sagt er, hätte er sich Massagen verschreiben lassen.

Kuhl kann es nicht glauben.

„Massagen? Ich meine, die wollten den dicken Gangster machen und lassen sich für Dienstag, Mittwoch und Freitag Massagen verschreiben – nee, ich hab gesagt, Sinan, mal ganz ehrlich, sind wir hier auf Kur oder was?“

Im Oktober 2006 ist Kuhls Geduld erschöpft. In der Werkstatt sieht es aus wie nach einer Explosion. Dollar, Dollar, 20, 30, 40 Millionen, Makulatur oder gelungene Blüten, längst haben sie den Überblick verloren, zweimal wären sie fast aufgeflogen, als Kunstkäufer ans Fenster pochten – inzwischen hat Kuhl nämlich eine neue Marktlücke entdeckt, er druckt jetzt Oldtimerbilder auf Edelstahl für Autohäuser. Jetzt haben sie ständig Bettlaken griffbereit, die sie über die Trockenregale und gestapelten Blüten werfen können.

Schließlich stopfen sie die Dollar in blaue Plastiksäcke, bringen sie nach Einbruch der Dunkelheit zur Sperrmüllsammelstelle Köln-Ossendorf. Und dann nochmals eine Ladung, und noch eine. Manni mietet einen Container, um die guten Blüten zu lagern. Sinan, der „Albaner“ und die anderen sollen sich jetzt um Abnehmer kümmern. Sie wollen etwa zehn Prozent der Falschgeldmenge in echten Scheinen, was dem Marktpreis entspricht. Dies ist allerdings auch der heikelste Teil des Geschäfts: Käufer für das Falschgeld zu finden, die einen nicht umbringen.

Die Russen?

Sinans irre Albaner?

Sollen sich die anderen darum kümmern, findet Kuhl.

Die neue Halle der Gewerbeabfallverwertungsgesellschaft im Kölner Norden ist 16 Meter hoch, fasst 300 Tonnen Müll. Am 25. September 2006, ein sonniger Tag, klarer Himmel, sticht der Sortierer Mehmet Sagir, auf dem Müllberg herumstapfend, einen blauen Plastiksack auf. Er stößt auf grünes Papier, obenauf ist das Zeug geschreddert, darunter unversehrt, es sind Dollar. Sagir und sein Vorgesetzter finden noch weitere sechs Säcke.

Rufen Polizei?, fragt Sagir.

Etwa 18 Stunden später klingelt das Telefon von Klaus Holzner*, Haus H, 4. Stock. Holzner ist ein gemütlicher Franke, breit, rundes Gesicht, zugeordnet dem Referat SO 42, Schwere und Organisierte Kriminalität, beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden.

Holzner ist der Falschgeldexperte des BKA, wahrscheinlich der beste in Deutschland; die Kölner Kriminalpolizei hat den Fall, der Schwere und des Umfangs wegen, an das BKA abgetreten. Holzner alarmiert die Kollegen vom Referat 44, Ermittlungen, zehn Minuten später sitzen sie im Auto, zwei Stunden später nehmen sie in Köln den Fund in Augenschein, es sind zwischen acht und zwölf Millionen, auf den ersten Blick.

Und das Niveau der Blüten ist „erschreckend perfekt“, wie Holzner sich heute noch erinnert. Wer hat sie hergestellt?

Wer sind die Abnehmer? Wie läuft der Vertrieb?

Unter den Schnipseln entdecken die BKA-Ermittler die geschredderten Reste eines Briefumschlags. Sie sortieren alle Schnipsel, arbeiten sich durch die Haufen.

„Operation Puzzle“ beginnt.

Norbert Hainold*, Kriminalhauptkommissar, ein zäher, drahtiger Mann, 46 Jahre alt, Brilli im linken Ohr, Styling-Gel im Haar, übernimmt die Leitung. Er ist es auch, der, schließlich handelt es sich um Dollar, die Amerikaner kontaktiert, den Secret Service.

Geldfälscher sind auch nur Männer

Die Herren in den schwarzen Anzügen haben zwei Aufgaben. Erstens: das Leben des amerikanischen Präsidenten zu schützen. Zweitens: den Kampf gegen Dollar-Fälscher. Sieben Undercover-Büros unterhält der Secret Service in Europa, eines davon befindet sich in Frankfurt, sobald falsche Dollar gefunden werden, benachrichtigt das BKA die US-Geheimdienstler, vier- bis fünfmal im Jahr, es ist Routine. Doch dieser Fall ist anders, größer, irrer.
Ob es Sinan war, der „Albaner“, oder der schusselige „Manni“, oder Kuhl selbst – jedenfalls haben die Geldfälscher versehentlich einen Brief, adressiert an Kuhl, geschreddert und in die Tüte gestopft. Somit haben die BKA-Leute Kuhls Adresse, am folgenden Tag steht die gesamte Fälschertruppe unter Überwachung, sämtliche Telefone, die Werkstatt, die BKA-Leute sammeln Indizien. Im Zimmer 260, im Gebäude der Kölner Staatsanwaltschaft, sitzt Oberamtsanwältin Petra Schumacher, eine zierliche Frau, freundlich, die Stimme heiser geraucht. Sie ist es, die die lückenlose Überwachung der Männer anlaufen lässt. Über jedes Telefonat, das Kuhl und Co. führen, gibt es von nun an einen Aktenvermerk, jeder Anruf wird gespeichert, und die Gangster quasseln viel in den kommenden acht Monaten, denn so lange währt die Observation, 16.000 Telefonate.

Die BKA-Leute warten auf die Abnehmer, sie wollen den ganzen Ring ausheben.

Das Problem ist nur, dass es keine Abnehmer gibt. Zwar schwärmen Kuhls Mitstreiter nach allen Seiten aus, werben eifrig im Milieu für ihre ausgezeichnete Ware – doch ihnen fehlen die ausgezeichneten Kontakte. Zahllose Telefonate, in denen Kuhls Komplizen geheimnistuerisch von „Bildchen“ und „grüner Strukturtapete“ plappern, aber ohne Käufer zu finden. Kuhl ist mehr und mehr genervt, er will, dass die verdammte Chose beendet wird, und er will endlich Geld, echtes Geld.

Die BKA-Leute entschließen sich zum nächsten Schritt, eine verdeckte Ermittlerin, eine Undercover-Agentin.

Eine BKA-Frau, Mitte 30, hübsch, rothaarig, wird in ein beigefarbenes Businesskostüm gesteckt. Sie kriegt eine Legende, einen schwarzen 5er-BMW und Visitenkarten, die sie als „Marie Sophie Susann Falkenthal“ ausweisen, ein Name wie aus einer ZDF-Vorabendserie.

Susann Falkenthal macht sich an Kuhl heran. Sie gibt sich als Unternehmensberaterin aus und wünscht sich Einladungskarten und Poster für ein Geschäftsevent in Litauen.

Kuhl beißt an.

Susann Falkenthal lässt den Mann in dem Glauben, der Aktive zu sein. Es kommt zu mehreren Treffen. Falkenthal spielt die Schwärmerische, die ihr Glück kaum fassen kann, an einen Künstler geraten zu sein. Sie wünscht sich, erklärt sie Kuhl, Dollar-Abbildungen auf den Einladungskarten. Ach, das könne er besonders gut, deutet Kuhl an.

Wieso?

Weil er – nun ja, mit Dollar habe er sich schon befasst, es gebe sogar etwas, was er ihr zeigen könne.

Hm, sagt Susann Falkenthal, in Litauen, da gebe es natürlich Leute, die sich interessieren …

Kuhl geht fröhlich nach Hause, süß, die Kleine, und er hat die Sache pfiffig angeleiert, findet er.

Am 13. April 2007 kauft Susann Falkenthal von Kuhl 250.000 gefälschte Dollar, zum Preis von 21.600 Euro. Es ist ein Testkauf, Kuhl soll in Sicherheit gewiegt werden.

Ihre litauischen Geschäftspartner waren begeistert, erzählt Susann Falkenthal Wochen später dem geschmeichelten Kuhl. Ob sie demnächst ein bisschen nachkaufen könne – oder ein bisschen mehr?

Wie viel mehr?, will Kuhl wissen.

Warum nicht fünf oder sechs Millionen?

Na ja, sagt Kuhl. Ach, und die Typen in Litauen, die waren angetan?

Ab-so-lut! Es sei großartige Arbeit, sagt Susann Falkenthal, die er geleistet habe, mit einem Wort: genial. Geldfälscher sind auch nur Männer.

Am 22. Mai 2007, mittags, soll die Übergabe stattfinden, ein sonniger Tag. Kuhl und seine Spezis haben Vorsichtsmaßnahmen getroffen, sie haben Susann Falkenthal bespitzelt, beziehungsweise sie haben es versucht – um 13.08 Uhr gibt „Manni“ A. mit markiger, agentenmäßiger Stimme durch, dass „die Mutter kommt“, gemeint ist Susann Falkenthal, und dass sie „allein und sauber“ sei.

Doch „die Mutter“ ist weder sauber noch allein: Zwei Minuten später werden die Fälscher von einer GSG-9-Einheit überwältigt bei dem Versuch, der verdeckten Ermittlerin 6,5 Millionen Dollar zu verkaufen. Kuhl wird mit Kabelbinder gefesselt, man holt ihm später sogar einen Stuhl aus der Werkstatt, ein GSG-9-Mann steht die ganze Zeit daneben und fühlt Kuhls Puls – falls der alte Herr vor Aufregung kollabiert, ist schon vorgekommen.

Im Wagen von „Manni“ A. finden die Ermittler eine M-43-Firestar-Pistole, einen Revolver Arminius. Im Keller des Albaners Sinan E. stellen sie 8,2 Millionen Dollar, eine Derringer-Pistole, Kaliber .38, eine Walther-Sportpistole, Kaliber .22, sicher. Insgesamt beschlagnahmen sie 16,5 Millionen Dollar, die Kollegen vom Secret Service sind begeistert, es ist der zweitgrößte Falschgeld-Dollar-Fund der Welt, der größte in Deutschland. Die Qualität der Blüten ist exzellent.

Die Freiheitsstrafen liegen zwischen zwei und sechs Jahren. Kuhl kriegt sechs.

Euskirchen bei Köln, Nieselregen. Der Wind biegt die Alleebäume. Von den Feldern steigen Krähen auf, ein Traktor rattert vorbei. Kuhl steht vor der Schranke der Justizvollzugsanstalt. Er tritt seine Zigarette aus, er nimmt die Tasche auf, lang, dünn, steifhüftig marschiert er zur Anmeldung, zum Strafantritt.


 

*Die Namen wurden geändert.