Am Flughafen

Das ist natürlich ein gefundenes Fressen: Ausgerechnet ein SPIEGEL-Artikel, der ein Plädoyer ist für sorgfältigen Journalismus, für zuverlässige Medien, denen man trauen kann, soll diese Genauigkeit vermissen lassen.

Es geht um mein Stück in der neuen Rubrik „Homestory“, in der wir persönliche Geschichten erzählen, eigene Erfahrungen und Beobachtungen. Es handelt davon, wie sich das Leben verändern könnte, wenn unsere Kinder keine Zeitung mehr lesen. Ich erzähle darin, was ich vor einigen Jahren in Island erlebt habe:

In Island war man sehr stolz darauf, eine vernetzte, bloggende Gesellschaft geworden zu sein, die althergebrachten Medien fristeten ihr Dasein, staubige Staats-Rundfunksender, von Untoten bewohnt, sklerotische Zeitungen. Lächerlich. Man bediente sich aus den Blogs. Da gab es Börsentipps und heiße Ideen zur wundersamen Geldvermehrung.

Nun war die Finanzkrise da, ein Meteoriteneinschlag, die Sonne war verdunkelt, niemand wusste, wo es langgeht. Wer waren die Bösen? Gab es Böse? Und wer waren die Guten? Würde man all sein Geld verlieren? War das Geld noch da? Nein?! Hilfe! Was war geschehen?

Lauter Fragen, die sich die Isländer plötzlich stellten. Und sie hatten noch mehr Fragen. Leider gab es keine Antworten, jedenfalls keine verbindlichen. Denn es gab keine Journalisten, die diese Sachverhalte, die ja unangenehm kompliziert sind, genau recherchieren, aufbereiten, erklären konnten. Es gab Blogs und Volksreporter. Einige davon lagen, mehr oder weniger zufällig, richtig. Sie hatten irgendwo was aufgeschnappt, in anderen Blogs. Andere lagen so was von falsch.

Aber niemand konnte die Falschen von den Richtigen unterscheiden. Gerüchte flammten auf, die Regierung würde zum Beispiel die Goldschätze aus der Zentralbank ins Ausland bringen, alle Isländer müssten am nächsten Morgen auf dem Flughafen stehen und die Startbahn blockieren, dieser Aufruf machte die Runde. Es war eisiger Winter. Und die Regierung hatte nicht im Traum daran gedacht, irgendwelche Goldschätze in Milliardenhöhe ins Ausland zu bringen. Aber die Isländer machten sich in der Nacht auf, blockierten ebenso tapfer wie sinnlos anderthalb Tage die Startbahn, bis alle steifgefroren waren. Der Erfinder dieses Gerüchts, der Blogger, wer immer es war, hat eine Menge kalter Füße und Blasenentzündungen zu verantworten.

Der deutsche Blogger Alexander Svensson hatte Zweifel an der Geschichte, fand keine Belege dafür und schrieb das aufandere sprangen auf den Zug auf: Hat der SPIEGEL sich das alles bloß ausgedacht?

Ich war im Januar und Februar 2009 auf Island gewesen und hatte eine Geschichte recherchiert, die dann unter dem Namen „Das Crash-Labor“ erschien. Ich war vor allem in der Hauptstadt Reykjavík und tat den ganzen Tag nicht anderes, als mich mit unterschiedlichsten Isländern zu unterhalten. Thema war die chaotische Situation, in der Island in jenen Wochen versank, mit zum Teil gewalttätigen Demos vor dem Althinghus, dem Parlamentsgebäude.

Meine Gesprächspartner erzählten mir in großer Übereinstimmung, wie wichtig und gleichzeitig schwierig es sei, in dieser Krisensituation an stabile Informationen zu gelangen. Das Fehlen verlässlicher Quellen wurde als großes Manko erlebt. Da ich kein Isländisch spreche oder lese, kann ich die Qualität der traditionellen Medien, Zeitungen, Rundfunk, nicht beurteilen. Ich konnte aber, entsprechend meiner Rolle als Reporter, Fragen stellen. Und hörte überall: Das Vertrauen war verzweifelt gering. Tenor: Wir wissen zu wenig; was aus dem Netz kommt, ist zu oft widersprüchlich.

Bei dieser Gelegenheit erfuhr ich von jenem Gerücht: Regierung und Banker wollten die Goldschätze außer Landes bringen, Startbahn oder Flughafen müssten blockiert werden. Ich nahm mir ein Taxi und fuhr zum Flughafen. Dort traf ich Isländer, die dort standen, weil sie verhindern wollten, dass die Regierung irgendwelche Schätze außer Landes fliegt. Sie waren da, um die Startbahn zu blockieren, sie standen vor dem Flughafen. Der Abend blieb mir in Erinnerung, denn die Leute schienen mir irgendwie typisch in ihrer gereizten Orientierungslosigkeit. Ich sprach mit einigen von ihnen, stand eine Weile frierend herum und fuhr dann wieder zurück ins Hotel. Dass sie ihr Vorhaben nicht umgesetzt haben, ist mir inzwischen klar geworden. Um so peinlicher, dass mir so ein Fehler in einem Text passiert, der sich mit der Genauigkeit von journalistischer Arbeit beschäftigt.

Gerade habe ich länger mit einem der isländischen Gesprächspartner von damals telefoniert, er hat mir bestätigt:

„Ja, ich weiß noch, damals kursierten solche Gerüchte im Netz, es hieß, die Verantwortlichen der Finanzkrise würden die Schätze des Landes in Koffern außer Landes fliegen, in Privatjets oder sonstwie, es gab Aufrufe, das zu verhindern. Das war, im Nachhinein, natürlich alles absurd, denn wer etwas außer Landes bringen wollte, der hatte das entweder längst erledigt, oder er konnte andere Wege finden. Aber es war eben eine aufgeputschte Situation, es waren hysterische Zeiten.“

Die Kolumne handelt eigentlich, wenn auch eher anekdotisch, von den medialen Gewohnheiten meines Sohnes Hans, 16. Sie handelt etwa von der, wie ich es sehe, durch das Netz und die sozialen Medien beförderte Neigung, sich schnell, aber oberflächlich zu empören, irgendwas zu liken oder eben jemanden als Lügner und Arschloch abzustempeln. Was machen die sozialen Medien mit der Generation der Jungen? Wie modelliert das Netz ihre Kommunikation, ihr Denken, Fühlen? Das ist, so habe ich es jedenfalls beabsichtigt, das eigentlich wichtige Thema der Kolumne. Ein Thema, zu dem wir übrigens am gestrigen Nachmittag mit ein paar Jugendlichen ein langes und spannendes SPIEGEL-Gespräch hatten. Es ist eine Debatte, auf die wir uns freuen.